Zoom auf die Fotokunst in Brüssel

20 Januar 2023
Photographie - art - Rue Rambuteau - Rue Saint Denis, 1er arrondissement.Paris, 26 mars 2020©Frédéric Stucin

Seit ein paar Jahren hat die Fotokunst in Brüssel frischen Wind in den Segeln. Anders als Antwerpen oder Charleroi besitzt die belgische Hauptstadt zwar noch kein eigenes Fotomuseum, doch die Brüsseler Institutionen, die sich der Kunst des "Schreibens mit Licht" widmen, füllen diese vermeintliche Lücke spielend. Wir präsentieren Ihnen die Pioniere, die Highlights und die jüngsten Neuzugänge.

TinyGallery - Kleines Museum der Amateurfotografie

Enfant Sauvage

Die TinyGallery zeigt eine Reihe von Fotografien, die ebenso spontan wie authentisch, intim wie lebendig sind. Kein Wunder, denn in diesem „kleinen Museum für Amateurfotografie“ dreht sich alles um alte Fotografien. Die ausgestellten Fotos, deren Kühnheit geradezu zeitgenössisch, ja modern anmuten, sind in Wirklichkeit in einer ganz anderen historischen Kontext verankert. Der Herzstück der ständigen Sammlung besteht größtenteils aus Bildern vom Ende des 19. Bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie zeigen die großen Augenblicke im Leben der kleinen Leute: eine Ankunft in New York, ein Sonntagsausflug, eine Zugfahrt ... Parallel zu den thematischen Ausstellungen organisiert die TinyGallery regelmäßig Workshops, bei denen man alte Fototechniken oder digitale Kunst erlernen oder perfektionieren kann. Olivier Guyaux, der Gründer des Museums, lässt sich von mehreren internationalen Künstlern begleiten, die – jeder auf seine Weise – das Projekt des spontanen Ausdrucks weiterführen. 

La Nombreuse

Die Atelier-Galerie La Nombreuse ist ein weiteres Beispiel der immer zahlreicher werdenden multifunktionalen Kunst-Hotspots in der Gemeinde Saint-Gilles. Das im September 2020 gegründete Kollektiv versteht sich als niederschwelliges Angebot und pflegt enge Bande mit dem Stadtviertel, in dem es sich befindet. Ziel von La Nombreuse ist es unter anderem, als Sprungbrett zu fungieren und die Kluft zwischen Fotoschulen und kulturellen Einrichtungen zu überbrücken, denn, wie das Kollektiv betont, „in der Schule lernt man nicht alles“. Téo Becher, Lucas Castel, Nicolas Catalano, Romain Cavallin, Martin Gallone, Solal Israel und Sarah Lowie, unterstützt von der Kunsthistorikerin Charlotte Lalau, bündeln ihre Kräfte und Kompetenzen, um aufstrebende Talente der zeitgenössischen Fotografie zu fördern. Mit ihren zahlreichen innovativen Ausstellungen, Führungen, Vorträgen und kostenlosen Workshops rund um die analoge Fotografie wenden sie sich an ein vielfältiges Publikum. Einen ersten Eindruck bietet übrigens das hauseigene Magazin BeNombreuse!

Géopolis – Zentrum für Fotojournalismus

Enfant Sauvage

Géopolis  befindet sich im Herzen des Brüsseler Marollen-Viertels, genauer gesagt in der ersten Etage der Ateliers des Tanneurs, die zahlreiche weitere Initiativen beherbergt. Das Kulturzentrum, das sich der Fotoreportage und der Entschlüsselung der Aktualität widmet, wurde 2017 von Ulrich Huygevelde und Thomas Kox – ihres Zeichens leidenschaftliche Geopolitiker. Mit Fotoausstellungen, didaktischen Installationen, Podcasts, Radiosendungen und einer ganzen Reihe von pädagogischen Aktivitäten möchten sie geopolitische und klimapolitische Fragestellungen für die Öffentlichkeit und insbesondere für junge Menschen leichter zugänglich machen. Es besteht ein echter Bedarf an Kontextualisierung, Analyse und Reflexion, um die gegenwärtigen Informationsströme zu verstehen. Erfahrene Fotografen und junge Talente werden daher eingeladen, aktuelle Themen zu beleuchten. Die Ukraine stand lange Zeit im Vordergrund, teilweise aufgrund der profunden Kenntnisse, die sich die beiden Gründer in der Region angeeignet haben. Aber auch die Taliban, die bedrohte Pressefreiheit, die Müllproblematik, das Leben in Ländern, in denen Krieg herrscht oder gerade Frieden geschlossen wurde, wurden bereits behandelt.

L'Enfant Sauvage

Enfant Sauvage

Das Enfant Sauvage ist ein Ausstellungs- und Kreativraum, der voll und ganz der Fotografie gewidmet ist. Es handelt sich um das ambitionierte und zu 100 % selbstfinanzierte Projekt der Fotografin Pauline Caplet, die einen Ort suchte, an dem sie die Werke der von ihr geschätzten Fotografen ausstellen konnte. Und da sie keinen Ort fand, der ihren Ansprüchen genügte, beschloss sie kurzerhand, selbst einen Ausstellungsraum zu eröffnen, der genau den Bedürfnissen junger Fotokünstlerinnen und -künstler und den Wünschen des „bilderhungrigen“ Brüsseler Publikums entsprach.

Die Ausstellungen vereinen unter einem Dach Brüsseler, belgische und internationale Fotografen, die sich unterschiedlicher, teils historischer Techniken bedienen, wobei die analoge Fotografie im Rampenlicht steht. Pauline versammelt die großen Namen der Fotoszene um sich, lässt sich aber auch immer wieder von Neuentdeckungen überraschen. Im Mittelpunkt steht auch die Idee des Austauschs – und so finden das ganze Jahr über Künstlergespräche, Workshops (von der Lochkamera bis zum Eisenblaudruck), Café-Diskussionen, Filmvorführungen und Buchveröffentlichungen statt. Abgerundet wird das Ganze durch einen kleinen, gut sortierten Buchladen.

Contretype - Zentrum für zeitgenössische Fotografie in Brüssel

Contretype

Das Contretype  wurde 1978 von Jean-Louis Godefroid (1952-2013) gegründet und versteht sich als Kunstzentrum für die Produktion, Ausstellung und Verbreitung der Autorenfotografie. Nachdem Godefroid einige Zeit in seiner eigenen Wohnung ausgestellt hatte (unter anderem mit klingenden Namen wie Robert Rauschenberg, David Hockney, Karl Blossfeldt, Robert Mapplethorpe,...!), kam das Contretype 1988 in dem Jugendstilbauwerk Hôtel Hannon unter, bevor es 2014 an seinen jetzigen Standort, die Cité Fontainas (ein weiteres prestigeträchtiges Gebäude in Saint-Gilles), umzog.

Dank der zahlreichen belgischen und internationalen Kooperationen werden regelmäßig auch Aktivitäten extra-muros organisiert. Aus dem Artist-in-Residence-Programm für belgische und internationale Fotografen gehen regelmäßig neue Arbeiten hervor, die in die ständige Sammlung mit dem Schwerpunkt Brüssel aufgenommen werden (die mittlerweile Werke von rund 40 Künstlern umfasst). So entsteht nach und nach ein fein gezeichnetes Porträt von Brüssel… 

Hangar - Photo Art Center / Gallery

HANGAR - Photo Art Center

Ausgehend von der Feststellung, dass sich 80 % der Ausstellungen im Hangar  ohnehin um Fotografie drehten, beschloss das Kunstzentrum, sich ganz bewusst ausschließlich der Fotokunst zu widmen. Mit etwa 8 bis 10 Ausstellungen pro Jahr bietet das Hangar einen umfassenden Blick auf die zeitgenössische Fotografie, wobei hinsichtlich der Genres, Territorien oder Methoden keinerlei Grenzen gesetzt sind. Dank der verschiedenen Partnerschaften mit Kunst- und Fotoschulen erhalten junge Talenten hier sowohl eine Bühne als auch kostbare Unterstützung. Jährliches Highlight ist das PhotoBrussels Festival. Das von der Direktorin des Hangar, Delphine Dumont, ins Leben gerufene Festival ist das beste Beispiel für die neue Dynamik der Brüsseler Fotoszene. Untergebracht ist das Hangar in einer mehr als 1000 m² großen ehemaligen Autofabrik. Neben dem schönen, lichtdurchfluteten Ausstellungsraum verfügt das Hangar über eine Buchhandlung sowie Räume für Konferenzen, Workshops und Veranstaltungen.

Fondation A Stichting

Seit die Fondation A Stichting im Oktober 2012 in einer ehemaligen Schuhfabrik im traditionell industriell geprägten Süden Brüssels ihre Pforten geöffnet hat, überrascht die Institution ihre Besucher regelmäßig mit hochkarätigen Ausstellungen mit klingenden Namen wie Koji Onaka, Nicholas Nixon, Henry Wessel, Guido Guidi, Vincen Beeckman... Ebenso wie die anderen im Viertel ansässigen kulturellen Einrichtungen (BRASS, P.A.R.T.S., WIELS und Galila's P.O.C.) nimmt die Fondation A Stichting aktiv am Leben des Stadtviertels teil. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Schaffen, das Wissen und den Erhalt des fotografischen Bildes zu fördern und zu unterstützen. Die coronabedingte Zwangspause 2020 nutzte die Stiftung als Gelegenheit, ihre Arbeitsweise neu zu überdenken. Zur Freude aller Fotoliebhaber startete die Fondation A Stichting im März 2021 mit einem ganz neuen Ausstellungsprogramm neu durch!